Raum, Zeit und Körper.

Vor einigen Wochen bin ich von Heidelberg nach München gezogen. Not a big deal. Aber für mich war es enorm. Nicht weil es zu weit ist oder weil ich keine Lust auf packen hatte, sondern weil mir Heidelberg und meine Zeit dort einfach sehr viel bedeutet hat. Es hat sehr gut getan, diesem Abschied Raum und Zeit zu geben.

Trennung und Wachstum mit Tanztherapie

Die Entscheidung war klar

Die Entscheidung zu gehen war sehr klar. Ich hatte ein starkes Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist zu gehen und wo anders neu anzufangen. Trotzdem habe ich mich bei dem Gedanken, nicht mehr an meinem vertrauten Ort zu sein, sehr traurig gefühlt. Durch meine Tätigkeit als Tanztherapeutin und meine  bisherigen persönlichen Erfahrungen war mir klar, dass ich dieser Traurigkeit und dem Prozess “zu gehen” Raum und Zeit geben wollte. Ich wollte den Abschied würdigen und integrieren, um ganz in mein neues Leben starten zu können.

Kommen, bleiben und wieder gehen

Ganze sechs Jahre habe ich in Heidelberg verbracht – und somit ist es der Ort an dem ich am längsten gelebt habe. Bis dahin bin ich in meiner Kindheit und als jungen Erwachsene viel umgezogen. Daher war es zunächst eine bewusste und wichtige Entscheidung, diesen Ort über diese für mich sehr lange Zeit nicht zu verlassen – sondern zu bleiben. Genauso wichtig, wie sechs Jahre später der Entschluss meine Koffer zu packen und wieder aufzubrechen.

In den Jahren des Bleibens ist viel passiert. Ich habe viele prägnante Erfahrungen gemacht, welche ich mit diesem Ort verknüpfe. Um mich wieder zu trennen war es für mich bedeutend, mich mit dem Abschied bewusst auseinander zu setzen und zu integrieren: zusammen zu bringen.

Trennung und Wachstum

Ich habe mich in meinen Büchern etwas über das Thema schlau gemacht und bin auf den systematischen Ansatz der Tanztherapeutin Susanne Bender gestoßen. Hier wird “Trennung” innerhalb eines Wachstumsmodell thematisiert (Bender 2014). Bender baut auf einem personenzentrierten Modell von Will Schutz (Schutz 1958, 1979, 1984) auf, welches von der Psychoanalyse abgeleitet ist. Sie ergänzte die Wachstumsphasen “Zugehörigkeit”, “Verantwortung” und “Offenheit” um die Phase der “Trennung”. Diese vier Phasen durchlaufen wir in unserem Leben immer wieder und stellen uns dabei unterschiedlichen Herausforderungen, um daran zu wachsen.

Neuer Lebensabschnitt mit Tanztherapie

Unterstützung des Prozesses durch die Künste

Hier möchte ich mit dir teilen, welche Aspekte von Benders Schreiben zur “Trennung” für mich besonders hilfreich waren:

Gefühle der Trennung können vielfältig sein

Zum Beispiel können Gefühle von Trauer, Wut, Erleichterung und Stolz dich in deinem Prozess begleiten. Fühle hier in dich hinein und versuche alle Gefühle wahrzunehmen, auch wenn du sie vielleicht gerade nicht einordnen kannst.

Trennung als eine Form Grenzen zu setzen

Unsere eigenen Grenzen zu setzen ist sehr wichtig für einen gesunden Umgang mit uns und unserer Umwelt. Dies kann zum Beispiel ein ‘Nein’ sein auf die Frage, ob du noch Kapazität hast bei einem Projekt mitzuwirken. Ein ‘Nein’ bereitet auch immer einen Weg zu einem ‘Ja’ – ‘Ja’ zu mehr Zeit für dich zum Beispiel. Oder in meinem Fall eine Grenze zu setzen, was meine Zeit in der einen Stadt betrifft, um einen Weg für ein Leben in einer anderen zu öffnen. Durch Grenzen setzen ist es möglich zu wachsen und aus Gewohnheiten auszubrechen. Dies gibt mir ein Gefühl von Stärke und Kontrolle.

Rituale der Trennung

Rituale helfen Prozesse zu verarbeiten, in dem sie diese symbolisch darstellen. Schau für dich, was sich stimmig anfühlt, was du brauchst, welcher Raum dir gut tut ect. – und gib dir genau das. Für mich war es beispielsweise wichtig die folgenden Schritte noch in meinem möblierten Zimmer durchzuführen:

  • Aufzuschreiben, was ich in der Zeit alles erlebt habe. Was die Zeit ausgemacht hat, was mir bedeutsam war.

  • Die Zeit malen, ihr eine Form zu geben. Für mich sah es aus wie eine Timeline und ich hatte auch das Bedürfnis Begriffe zu integrieren.

  • Mich zu dem gemalten zu bewegen. Hier bin ich die Zeit noch einmal durchgegangen und habe für mich Gesten und körperliche Ausdrücke gefunden, welche meine Zeit an diesem Ort symbolisieren. Dabei war es ganz spannend zu beobachten was mein Körper noch an Erinnerung hervorbrachte, welche mir vorher nicht eingefallen sind. Es kamen zum Beispiel auch die Themen Wut, Kraft und Abgrenzung zum Vorschein.

  • Um den Übergang langsam einzuleiten, empfand ich den Prozess vom Packen und Saubermachen als sehr wichtig. Ich habe mir dafür immer gute Musik angemacht und was Leckeres zu trinken vorbereitet.

Und Tschüss!

Als ich dann nach dem ganzen Packen in meinem leeren Zimmer stand und mich nochmal von diesem verabschiedet habe, habe ich mir gedacht, dass ich es jetzt jemandem neuen übergeben würde. Sobald ich das gedacht habe, habe ich mich erwisch und korrigiert – dass es nie meins war, sondern mich für die schöne Zeit bedankt, in der ich hier verweilen durfte.

Abschied von einem Ort mit Tanztherapie

Quellen & weiterführende Literatur

  • Bender, S. (2014). Systemische Tanztherapie. Ernst Reinhardt Verlag. München.
  • Schutz, W. (1958). FIRO: a three-dimensional theory of interpersonal behaviour. New York: Rinehart & Company.
  • Schutz, W. (1979). Profound simplicity. New York. Bantam Book.
  • Schutz, W. (1984). The truth option. Berkeley: Ten Speed Press.