In unserem Körper steckt unsere ganze Geschichte. Hier sind vielschichtige Erinnerungen gespeichert, die nicht oder nur schwer verbalisiert werden können. Durch Bewegung kommen wir mit unserer Geschichte in Kontakt und können sie in der Gegenwart bearbeiten.

Blogbeitrag Körpergedächtnis

Plötzlich in einer anderen Welt

Jeder von uns kennt es: Ein spezieller Geruch versetzt uns augenblicklich in längst vergangene Zeiten. Eine Melodie katapultiert uns in eine Welt voller Erinnerungen. Es ist, als wären wir dort, als würden wir für einen Augenblick alles noch einmal erleben. Alles, was wir erleben und tun, hinterlässt Spuren in unserem Körper. Auch tief verschüttete Erinnerungen können durch physische Impulse wieder aufleben.

Spuren in unserem Körper

Nach Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Heidelberg, sind in unserem Körpergedächtnis – auch Leibgedächtnis genannt – vielschichtige Erinnerungen gespeichert. Er nennt es das implizite Gedächtnis, das sich nicht oder nur schwer in Worten ausdrücken lässt.

Im Gegensatz hierzu steht unser explizites Gedächtnis, dass autobiografisches oder semantisches Wissen, also unser Faktenwissen, beinhaltet und bewusst abgerufen werden kann.

Veränderung aus unserer Ganzheit heraus

Oft kennen wir die Gründe bzw. die Ursprünge für toxische Verhaltensmuster. Doch allein hierdurch verändern wir nichts. Um etwas zu bewegen, kann unser Körper als Schlüssel dienen. An dieser Stelle setzen Körperpsychotherapien, wie die Tanztherapie, an.

Es ist unser Körper, der uns unsere Erfahrungen und den Aufbau von Wissen in dieser Welt ermöglicht. Er macht Wissen lebendig. Betrachten wir unser körperliches Empfinden, unsere Haltung, unseren Ausdruck aufmerksam, können wir einen neuen Zugang zu uns selbst finden. Bewegung führt uns zu tiefen Gefühlen und Erinnerungen. Selbst tiefliegende Traumata können, wie beispielsweise im Somatic Experiencing, über das Körpergedächtnis  behutsam bearbeitet und gelöst werden.

Buddha hat gesagt: Das ganze Universum, ihr Mönche, liegt in diesem Körper und Geist.
      Ayya Khema

6 Ebenen des Körper-Gedächtnisses

  • Inhalte aus unserem prozedualen oder auch sensomotorischen Gedächtnis, rufen wir ganz automatisiert ab, wie beispielsweise Autofahren, Schreiben oder Geigespielen.

  • Im situativen Gedächtnis, auch Raumgedächtnis genannt, sind Erinnerungen gespeichert, die sich durch einen bestimmten Geruch, ein Geräusch oder einen Anblick in unser Bewusstsein bringen.

  • Im sogenannten Zwischenleib sind zwischenmenschliche Erinnerungen festgehalten. Der Name einer Person weckt bestimmte Assoziationen, der Erste Eindruck entsteht aufgrund früherer Begegnungen, die Beziehung zu unseren Eltern verankert unseren Bildungsstil und prägt somit künftige Beziehungen.

  • Im inkorporativen Gedächtnis spiegelt sich unsere soziale Identität. Unsere Erziehung steht in Konflikt zu unserem spontanen Ausdruck. Innere Hemmungen entstehen. Ebenso liegen hier die von unseren Vorfahren übernommene Ängst, wie beispielsweise die weitergegebene Angst vor Spinnen.

  • Schmerzen, die wir erfahren haben, sind in unserem Schmerzgedächtnis eingebrannt. Sie werden in unserer Haltung, in unseren Bewegungen und unserer Schmerzerinnerung deutlich.

  • Das traumatische Gedächtnis steht in engem Zusammenhang mit dem Schmerzgedächtnis. Diese Erinnerungen sind tief im Körper gespeichert. Oft ist keine bewusste Erinnerung vorhanden, das Ereignis ist jedoch im Körper präsent. Nicht selten manifestiert es sich als chronischen Schmerz.

Quellen

  • Fuchs, T. (2012), Body Memory, Metaphor and Movement, John Benjamins Publishing Company, Amsterdam/Philadelphia, Chapter 1, The phenomenology of body memory, S. 9 – 21
  • Fuchs, T. (2000), Phänomenologische Forschungen, Vol. 5, Felix Meiner Verlag, Hamburg, Das Gedächtnis des Leibes, S. 71–89
  • Halprin, D. (2013), Was der Körper zu erzählen hat, Expressive Arts Therapy in Theorie und Praxis, K. Kieser, München, Bewegung als Metapher, S. 17